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Thema: AM-Abgabe an Schwangere trotz KI

  1. #1
    Moderatorin Avatar von Maike Noah
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    Frage AM-Abgabe an Schwangere trotz KI

    Sehr geehrte Dr. Morck,
    ich bin nicht ganz sicher, ob meine Frage in dieses Unterforum gehört oder doch eher in ein Rechtsforum (falls es hier verkehrt ist, bitte in das richtige Unterforum verschieben).

    Die Abgabe von Selbstmedikations-AM an Schwangere ist teilweise gar nicht so leicht, da in den Beipackzetteln (und in der ABDA) oft Schwangerschaft/Stillzeit als Kontraindikation aufgeführt sind. Klar ist, dass dies oftmals gar nicht der Fall sein müsste, sich die Pharmafirmen aber absichern wollen (s. zitierten Beipackzettel unten).

    Nun mein konkreter Fall:
    Eine Schwangere kauft Thymian-Tee und möchte zusätzlich etwas zum Lutschen, sie habe Husten. Ich empfehle vorsichtshalber etwas pflanzliches und denke an Bronchicum (R) Pastillen. Auch diese enthalten Thymian, aber der Blick in den Beipackzettel zeigt diesen oft gelesenen Text: "Da keine ausreichenden Untersuchungen vorliegen, sollen Bronchicum Pastillen bei Schwangeren nicht angewendet werden".

    Meine Frage:
    Kann ich einer Frau, von der ich definitiv weiß, dass sie schwanger ist z.B. Bronchicum (R) Pastillen empfehlen-obwohl dies kontraindiziert ist- ohne Gefahr zu laufen, etwas unrechtes zu machen? Ich frage mich z.B. ob ein Apotheker von überbesorgten Eltern angezeigt werden könnte, weil er wissentlich "kontraindizierte" AM abgegeben hat.

    Vielen Dank für die Mühe
    mit freundlichen Grüßen
    Maike

  2. #2
    Kompetenz-Manager Avatar von Dr. Alexander Ravati
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    AM in der Schwangerschaft

    Liebe Frau Noah,

    da das hier mehr eine rechtliche Frage ist und auch eine Frage, die eher in mein Metier fällt, habe ich mich mit Herrn Morck abgesprochen, dass ich diese Frage beantworte.

    Vorweg um falsche Erwartungen zu dämpfen: sie bekommen hier verbindliche keine ja/nein-Antwort.

    Fakt für Ihren Fall ist:
    Der Pharm. Unternehmer versucht, mit den Angaben in Packungsbeilage und FI die Haftungsrisiken zu minimieren. Die Verantwortung für eine Therapie-Entscheidung und damit das Haftungsrisiko geht damit überwiegend (aber nicht ausschließlich, denn der Pharmaunternehmer kommt bei schweren Schäden aus der soganannten Gefährdungshaftung mit Beweislastumkehr gemäß § 84 AMG nie ganz raus) auf den Arzt oder (wie hier bei Selbstmedikation) auf den Apotheker über. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Einnahme keine Eigen-Entscheidung des Patienten, sondern eine aktive Empfehlung des Apothekers war.

    Aus dem Grunde gelten in der Praxis und so sehen es auch die Leitlinien der Bundesapothekerkammer vor, das bei Vorliegen einer Schwangerschaft in der Selstmedikation nach Möglichkeit auf Label-konforme Abgabe zu achten ist (was den Aktiosradius natürlich einengt) UND eine Absprache mit dem behandelnden Arzt erfolgen soll!

    Dennoch:
    Da das oft nicht weiterhilft und auch das BMG diese Problemaktik in der Praxis kennt, hat sich mit Unterstützung des BMG sei 2008 ein sehr empfehlenswertes Institut unter www.embryotox.de etabliert, das der Praxis-Apotheker unbedingt kennen sollte!!!

    Gibt man für Ihren Fall Thymian als Wirkstoff ein findet man dort in der Datenbank:

    "Erfahrungen in der Schwangerschaft
    Erfahrungsumfang: GERING
    1. Trimenon: Es gibt keine Hinweise auf Teratogenität, systematische Studien fehlen jedoch.
    2.-3. Trimenon / Perinatal: Bisher gibt es keine Hinweise auf Fetotoxizität.

    Empfehlungen zur Schwangerschaft

    Planung einer Therapie oder Planung einer Schwangerschaft unter Therapie: Die Anwendung von Thymianblättertrockenextrakt erscheint akzeptabel. Systematische Studien zur Verträglichkeit in der Schwangerschaft fehlen jedoch. Alkoholhaltige Zubereitungen sind zu meiden.
    Konsequenzen nach Anwendung in der Schwangerschaft: keine
    Besser erprobte Alternativen: Falls Inhalationsbehandlung und ausreichende Flüssigkeitszufuhr ungenügend wirken, sollten zunächst die besser untersuchten Substanzen Acetylcystein, Ambroxol oder Bromhexin versucht werden"

    und gleich auf der Startseite von www.embryotox.de ein Apell gegen die grassierende Überängstlichkeit in Schwangerschaft und Stillzeit:

    "Nicht selten ist man erheblich verunsichert, wenn medikamentös behandelt werden muss. Kurzgefasste Mitteilungen auf Beipackzetteln oder in der Roten Liste vermitteln häufig den Eindruck, dass die meisten Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit nicht verwendet werden dürfen. Viele Ärzte und Apotheker betrachten diese Hinweise als rechtlich bindend und eine Behandlung mit solchen Medikamenten (Off-label-Use) als haftungsrechtlich problematisch.
    Auch wenn die überwiegende Zahl der Medikamente unzureichend in der Schwangerschaft untersucht ist, muss man nicht befürchten, dass heute unerkannt Medikamente im Umlauf sind, die so stark schädigen wie vor 50 Jahren das Contergan (Thalidomid).
    Auch Schwangere und Stillende müssen mit Arzneimitteln versorgt werden, denn unbehandelte Erkrankungen können sowohl die Mutter als auch das Kind gefährden. Aktuelle wissenschaftliche Daten erleichtern Entscheidungen und vermeiden
    ?Therapieabbrüche
    ?Fehlbildungen durch Medikamente
    ?unnötige vorgeburtliche Diagnostik
    ?Abbrüche gewünschter und intakter Schwangerschaften
    ?unnötiges Abstillen"

    Mein Tipp:
    1. Entscheiden Sie bei Schwangerne immer mit besonderer Sorgfalt
    2. Arbeiten Sie interdisziplinär (mit Ärzten, mit Infozentren wie embyotox etc.)
    3. achten Sie, wenn immer möglich auf Label-konforme Abgabe
    4. Informieren Sie umfangreich, transparent und ehrlich, v.a. wenn in der Packungsbeilage keine klare Aussage getroffen wird.
    5. Seinen Sie sich der besonderen Verantwortung bewußt


    Wie Immer: Handeln Sie letztelich mit Sachverstand

    Herzliche kollegiale Grüße

    Ihr Dr. Alexander Ravati
    Beste Grüße, Ihr Dr. Alexander Ravati,

    Apotheker, Ihr Experte im Forum Spezielle Rechtsgebiete und Pharmazie
    Rechtlicher Hinweis: Die hier eingestellten Kommentare geben die persönliche Meinung des Beitragstellers wieder und haben keinerlei rechtsempfehlenden oder rechtsbindenen Charakter. Für eine offizielle Auskunft wenden Sie sich bitte stets an die für Sie zuständige Kammer bzw. Überwachungsbehörde

  3. #3
    Moderatorin Avatar von Maike Noah
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    Guten Morgen,
    herzlichen Dank für diese umfassende Antwort.

    Gruß Maike Noah

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