Tilidin

[anisaldehyd]

Ist Tilidin ein Vollagonist oder ein partieller Agonist am Rezeptor? Und welche analgetische Potenz hat Tilidin ohne Naloxon?

[Maike Noah]

Hallo anisaldehyd,

Ist Tilidin ein Vollagonist oder ein partieller Agonist am Rezeptor?

Der Metabolit Nortilidin ist ein Vollagonist.

Zur Potenz: laut doccheck 0,2x so stark wie Morphin.

Beste Grüße
Maike Noah

[Dr. Christoph Behrendt]

Nortilidin, der wirksame Metabolit Tilidins, der zu ca. 1/3 aus Tilidin durch CYP3A4/2C19 entsteht, ist ein µ-Vollagonist und hat im Vergleich zu Morphin eine analgetische Potenz von ca. 0,16-0,19.

[anisaldehyd]

Vielen Dank für die schnelle Antwort! So in etwa habe ich das auch herausgefunden. In meiner Staatsexamensprüfung wurde ich nämlich belehrt, dass Tilidin ein starkes Opioid-Analgetikum ist mit einer Potenz, die der von Morphin ebenbürtig ist, weil ich gesagt habe, dass Tilidin ein schwaches Opioidanalgetikum ist. Ich wurde aufgeklärt, dass Tilidin wegen seiner starken Potenz deshalb mit Naloxon kombiniert wird. Nur in Kombination mit Naloxon soll es dann ein schwach wirksames Opioidanalgetikum sein. Soweit ich jedoch im Bilde bin, wird Naloxon mit Tilidin kombiniert um vor Missbrauch zu schützen. Denn in oral eingenommener Form ist Naloxon doch wegen seines FPE so gut wie gar nicht wirksam. Also macht diese Erklärung, dass die Wirkung von Tilidin bei oraler Gabe durch Naloxon abgeschwächt wird, doch eigentlich keinen Sinn, oder?

[Dr. Christoph Behrendt]

Sie haben absolut recht. Naloxon wirkt bei peroraler Einnahme nicht systemisch und wird aufgrund des hohe first pass schnell ausgeschieden.
Wenn überhaupt, dann kann Naloxon evtl. den obstipativen Effekt des Opioids peripher hemmen, so dass diese Nebenwirkung abgeschwächt wird.
Was den Prüfer im Staatsexamen zu diesen Aussagen verleitet hat, kann ich mir nicht erklären. Zumal man, wenn Tilidin so stark wirksam wie Morphin wäre, ganz einfach die Dosis verringern könnte. Aber Tilidin wird p.o. mit ca. 300 mg Tagesgesamtdosis gegeben, Morphin aber p.o. mit initial 30 mg Tagesgesamtdosis.
Das Missbrauchspotential von Tilidin ist ziemlich hoch und der Zusatz von Naloxon soll diesen vermeiden helfen.
Allerdings sind schnell freistzende Kombis von Tilidin und Naloxon inzwischen BtM-pflichtig geworden, was andeutet, dass sich Naloxon einfach abtrennen lässt.

Viele Grüße

[Dr. Alexander Ravati]

Hallo zusammen,

alles richtig :-). Möglicherweise waren die Prüfer nicht so ganz "im Bilde" ;-)
Möglicherweise waren sie aber auch besonders gut im Bilde.
Denn so ganz falsch ist die Aussage nicht, wenn ich "anisaldehyd" zitiere mit ...
"Nur in Kombination mit Naloxon soll es dann ein schwach wirksames Opioidanalgetikum sein"
Man darf hier klinische WIRKSAMKEIT eines FAM nicht mit der Potenz eines Wirkstoffs verwechseln!
Der first-pass-Effekt für Naloxon ist nämlich nicht in jeder Dosis nahe 100% sondern er ist sättigbar!
Das heißt, dass alles was hier steht für die empfohlenen oralen Dose richtig ist, aber eben nur für diese.
In der von Christoph richtig genannten höchstzulässigen Einzeldosis von 300 mg Tilidin haben wir automatisch 24 mg Naloxon drin (Verhältnis 12,5:1).
Bei 24 mg Naloxon als orale Einzeldosis funktioniert das gerade noch so mit der vollständigen Inaktivierung im first-pass (und wohl auch mit der vollen Aktivierung des Prodrugs Tilidin in die Hauptwirkform Nortilidin).
Wenn wir uns aber jetzt einen Palliativ-Patienten mit schwersten Schmerz-Zuständen vorstellen (braucht mehr als 30-60 mg Morphin!), ist die Wirksamkeit der im Handel befindlichen Tilidin-AM zu gering! Wir können mit der Dosis nicht einfach höher gehen, weil
1. die Inaktivierung von Naloxon (dosislimitierend) sättigbar ist
2. die Aktivierung von Tilidin in Nortilidin (ebenfalls dosislimitierend) sättigbar ist.

Unterm Strich: Ob jetzt Tilidin in der Fixkombi ein starkes (immerhin ja zugelassen "Zur Behandlung starker und sehr starker
Schmerzen") oder schwaches Opioid ist, ist eher eine Geschmacksfrage...