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Thema: Rezeptur überdosiert - kann die Haftung auf den Arzt übergehen?

  1. #1
    Moderatorin Avatar von Maike Noah
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    Rezeptur überdosiert - kann die Haftung auf den Arzt übergehen?

    Hallo zusammen,
    bei einer Tinktur, die unter dem Nagel angewendet werden soll, ist die Höchstdosierung für ein Cortison überschritten.
    Der Arzt hatte auf dem Rezept bereits vermerkt "Menge ärztlich begründet". Sicherheitshalber hielt meine Kollegin dennoch Rücksprache mit dem Arzt und lies sich nochmals per Fax bestätigen, dass die Dosisüberschreitung gewünscht sei.

    Dennoch stellt sich die Frage, ob in einem solchen Fall bei auftretenden Schäden, die Apotheke voll haftet?
    Bei Rezepturen haftet generell der Hersteller, aber gibt es eine Möglichkeit, dass die Haftung in diesem Fall auf den Arzt übergeht? Genügt die Dokumentation des Rezeptes sowie des Gesprächs oder kann z.B. eventuell ein Schriftstück aufgesetzt werden?

    Beste Grüße
    Maike Noah
    Maike Noah, Apothekerin

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  2. #2
    Premium-User Avatar von Dr. Alexander Peters
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    Hallo Frau Noah,

    wenn für den Apotheker erkennbar ist, dass Cortison überdosiert ist und eine Applikation erkennbar kontraindiziert ist, haftet auch er. Der Vertrauensgrundsatz, der im Rahmen horizontaler Arbeitsteilung oftmals greift, wird hier erschüttert, weil der Apotheker konkrete Zweifel haben muss (und hat).

    LG TAP

  3. #3
    Moderatorin Avatar von Maike Noah
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    Hallo Dr. Peters,

    erst einmal herzlichen Dank für die sehr, sehr schnelle Antwort!!

    Das DAC/NRF hatte uns geraten, dass der Arzt "Menge ärztlich begründet" auf dem Rezept vermerkt, was ja auch geschehen ist. Dieser Hinweis ist dann also ohne Relevanz?
    D.H, dass bei Rezepturen immer die Apotheke haftet?
    Können Sie bitte noch Stellung zu meiner Frage nehmen, ob es möglich ist, dass der Arzt z.B. per Schriftstück die Haftung übernimmt.

    Danke und beste Grüße
    Maike Noah
    Maike Noah, Apothekerin

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  4. #4
    Premium-User
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    Hallo Frau Noah,
    Zitat Zitat von Maike Noah Beitrag anzeigen
    Das DAC/NRF hatte uns geraten, dass der Arzt "Menge ärztlich begründet" auf dem Rezept vermerkt, was ja auch geschehen ist. Dieser Hinweis ist dann also ohne Relevanz?
    D.H, dass bei Rezepturen immer die Apotheke haftet?
    So wie Dr. Peters das schreibt, haftet der Apotheke immer, wenn die Normdosis überschritten wird. Dann kann man sich das auch sparen, den Arzt zu bitten, "Menge ärztlich begründet" auf das Rezept zu schreiben. Warum empfielt das NRF das denn dann überhaupt?

    Krasse Sache. Warum sollten die Apotheken hierfür die Haftung übernehmen? Tja, dann kann man nur jeder Apotheke raten, solche Rezepturen abzulehnen. Schade für den Patienten, dem diese vielleicht geholfen hätte.

    Sven

  5. #5
    Kompetenz-Manager Avatar von Dr. Alexander Ravati
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    Hallo zusammen,

    als Praxistipp würde ich empfehlen (wenn Sie dem Arzt letztlich doch die Entscheidung überlassen wollen), die Quelle zur Basis Ihres Vorgehens zu kopieren oder auszudrucken. Hier als typischerweise in Apotheken anerkannte Literatur das DAC/NRF in der zitierten Passage.
    Falls es hart auf hart kommen sollte, kann der betreffende Apotheker sich damit zu entlasten versuchen.

    Allerdings teile ich absolut die Auffassung von Dr. Peters, dass in der Apotheke allzu leicht der Glaube existiert, man könne bei Vorliegen einer ärztlichen VErordnung jegliche Rechtsverantwortung an den Arzt quasi "delegieren". Dass dies so einfach nicht der Fall ist, wurde hier schon oft angesprochen.
    Im Zweifelsfall - wenn Sie also wirklich ein Risiko für die Gesundheit sehen (was ich bei einer Tinktur für den Nagel nicht sehe, in anderen Fällen von Dosisüberschreitungen mir aber sehr wohl vorstellen kann)- lieber ablehnen!
    Beste Grüße, Ihr Dr. Alexander Ravati,

    Apotheker, Ihr Experte im Forum Spezielle Rechtsgebiete und Pharmazie
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  6. #6
    Moderatorin Avatar von Maike Noah
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    Hallo zusammen,
    ich habe noch mal ein bisschen nachgedacht und möchte meine Überlegungen gerne teilen.
    Zitat Zitat von Dr. Alexander Ravati Beitrag anzeigen
    Allerdings teile ich absolut die Auffassung von Dr. Peters, dass in der Apotheke allzu leicht der Glaube existiert, man könne bei Vorliegen einer ärztlichen Verordnung jegliche Rechtsverantwortung an den Arzt quasi "delegieren". Dass dies so einfach nicht der Fall ist, wurde hier schon oft angesprochen.
    Es geht hier nicht darum, jegliche Verantwortung über die Rezeptur an den Arzt abzugeben.
    Selbstverständlich haftet die Apotheke u.a. für: Identität des Arzneistoffs, Reinheit des Arzneistoffs, saubere Verarbeitung in der Rezeptur, Festlegung der Haltbarkeit etc etc...
    -> die Herstellung der Rezeptur ist natürlich die Baustelle der Apotheke
    Selbstverständlich ist es darüber hinaus wichtig, dass der Apotheker im Sinne der Pharmakovigilanz überprüft, ob die Rezeptur, auch in Bezug auf die Dosierung, plausibel erscheint.

    Zitat Zitat von Dr. Alexander Ravati Beitrag anzeigen
    Im Zweifelsfall - wenn Sie also wirklich ein Risiko für die Gesundheit sehen (was ich bei einer Tinktur für den Nagel nicht sehe, in anderen Fällen von Dosisüberschreitungen mir aber sehr wohl vorstellen kann)- lieber ablehnen!
    Im Bereich der Fertigarzneimittel ermöglicht der Gesetzgeber dem Arzt z.B. einen off-Label use. Eigentlich schade, dass dies nur bei FAM gegeben ist und nicht bei Rezepturen.

    Herr Deffner trifft es wohl ganz gut:
    Zitat Zitat von Sven Deffner Beitrag anzeigen
    Schade für den Patienten, dem diese vielleicht geholfen hätte.
    Warum sollte die Apotheke hier die Haftung für die Dosierung/ Stärke übernehmen? Die Therapie erfolgt noch immer durch den Arzt, nicht durch die Apotheke.

    Bei der Tinktur für den Nagel sehe ich persönlich auch keine allzu große Gefahr. Meine Kollegin, die die Rezeptur angenommen hat, sagt aber, dass Sie nicht dafür haften will, was ich verstehen kann.

    Beste Grüße
    Maike Noah
    Maike Noah, Apothekerin

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  7. #7
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    Hallo, Frau Noah,

    so ganz unproblematisch ist die Situation tatsächlich nicht. Sie kommen nicht drumherum, den Arzt auf die Überdosierung hinzuweisen und sollten dieses Gespräch auch mit der von Ihnen angeführten Begründung dokumentieren (würde ich zur Plausibilitätsprüfung legen). Wenn der Arzt wider besseres Wissen oder auf eigene Verantwortung auf der Rezeptur besteht, dann sollte er das Ihnen gegenüber - dokumentiert wie schon gesagt - SCHRIFTLICH bestätigen. Wenn die Überdosierung nach Ihrer Einschätzung als Apothekerin schwerwiegende gesundheitliche Folgen für den Patienten haben kann - Finger weg, Herstellung ablehnen! Auch hier: dokumentieren, warum!
    Ich darf an einen Fall erinnern, in dem eine Apotheke wider besseres Wissen das Konservierungsmittel in Augentropfen überdosiert hat (ich glaube, um den Faktor 1000), sodaß der Patient (Kind) schwerwiegende Augenschäden davongetragen hat - hier ist der Apotheker, neben dem Arzt, der die Verordnung falsch (!) ausgestellt hat, voll mit in der Haftung - sowohl straf- als auch zivilrechtlich.

    Meine persönliche Meinung: nur um einen Arzt "zufriedenzustellen" und um sicherlich konfliktreiche Gespräche ("dann macht es eben eine andere Apotheke") zu vermeiden, dürfen wir uns nicht um Verantwortung drücken! Wir wollen mehr Freiheiten bei der Abgabe von Arzneimitteln (Stichwort KBV-Modell), dann gehört auch dazu, die Verantwortung für unser Tun zu übernehmen und ggf. in Haftung zu gehen oder eben eine Therapie zu verweigern! Ich bin allerdings zuversichtlich, daß sich mit den richtigen Argumenten (und vielleicht auch dem Hinweis auf die Haftungsgefahr für den Arzt, der die Dosierung überschreitet ) eine einvernehmliche Lösung erzielen lassen kann.

    Grüße
    C. Wegener

  8. #8
    Moderatorin Avatar von Maike Noah
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    Hallo zusammen,
    Die Apothekerkammer hat uns leider auch nur bestätigen können, dass die Apotheke immer haftet, auch wenn der Arzt den vom NRF vorgeschlagenen Zusatz "Menge ärztlich begründet" auf der Verordnung vermerkt.
    Zitat Zitat von Claudia Wegener Beitrag anzeigen
    Sie kommen nicht drumherum, den Arzt auf die Überdosierung hinzuweisen und sollten dieses Gespräch auch mit der von Ihnen angeführten Begründung dokumentieren (würde ich zur Plausibilitätsprüfung legen). Wenn der Arzt wider besseres Wissen oder auf eigene Verantwortung auf der Rezeptur besteht, dann sollte er das Ihnen gegenüber - dokumentiert wie schon gesagt - SCHRIFTLICH bestätigen.
    Das heißt, das alles kann sich die Apotheke sparen, da es an der Haftung nichts ändert und wofür sonst sollte man den Aufwand dann betreiben?

    Meine Kollegin -der es zu heiß ist, für Rezepturen in Haftung zu gehen- und ich haben uns darauf verständigt, dass wir ab sofort keine Rezepturen mehr herstellen, die beispielsweise überdosiert sind. Da wir nun Rechtssicherheit haben, haben wir eine Art Infofax für einen solchen Fall erstellt, welches wir den Praxen dann auch für deren eigenen Dokumentation zukommen lassen können (eine solche Rezeptur kommt ja zum Glück nicht ständig vor).

    Viele Grüße und allen einen angenehmen Tag in der Apotheke, v.a.in der Rezeptur.
    Maike Noah
    Maike Noah, Apothekerin

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