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Projektpatenschaft: Der Daktari von Mile 46

Erst vor kurzem kehrte Apothekerin Stefanie Pügge von ihrem Besuch in Kenia zurück. Die Projektkoordinatorin der Apotheker ohne Grenzen  besuchte mit den Mitarbeitern der Partnerorganisation AMREF Gesundheitsstationen, die die kenianische Bezirksregierung als dringend verbesserungswürdig erachtet. Lesen Sie Stefanie Pügges Bericht vom ersten Besuch im Health Center im Kajido County, circa drei Autostunden südlich von Nairobi:

AoG-Koordinatorin Steffi Pügge in Kenia. Alle Bilder: © Apotheker ohne Grenzen e. V.

Früh am Morgen erwacht Nalorwesha aus einem unruhigen Schlaf. Damaribu, ihre 15 Monate alte Tochter, hustet seit vier Tagen fast die ganze Nacht. Einmal hat sie sich erbrochen. Nalorwesha hatte nicht viel Schlaf. Die kleine Lehmhütte ist dunkel und kühl, ihre anderen sechs Kinder schlafen noch auf den Kuhfellen. Die Massai-Familie lebt in einer Lehmhütte auf einem Steinplateau, mitten in der Savanne.

Die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Nalorwesha hält ihre kleine Damaribu fest an sich gedrückt. Schüttelfrost lässt den kleinen, weichen Körper erzittern, sie ist glühend heiß und sie weint. Aus einem geflochtenen Regal holt Nalorwesha Ziegenmilch, die sie gestern gemolken hat. Damaribu trinkt wenig, dann hat sie wieder einen Hustenanfall. Auch Nalorwesha trinkt einen Schluck. Das muss reichen für den langen Fußmarsch nach Mile 46.
Langsam geht die Sonne auf. Die Hitze drückt auf die Savanne.  Nalorwesha ist seit drei Stunden unterwegs, sie sieht schon die kleine Siedlung aus bunten Wellblechhütten, die Bahngleise, die mitten hindurch verlaufen. Heute ist Markttag in Mile 46. 

In der Regenzeit von November bis Februar ist das Land um Mile 46 immer wieder überschwemmt. Die Massai nennen diese Gegend Elangatanuaj, was soviel heißt wie „weites Land“, wo man den Fluss auch in der Regenzeit überqueren kann. Während der nun herrschenden Trockenzeit ist der Fluss völlig ausgetrocknet.
Vor dem Health Center hat sich unter den Akazienbäumen eine lange Schlange gebildet, in die Nalorwesha sich einreiht. Damaribu weint, hustet und fasst sich immer wieder an die Brust. Alle warten auf den Daktari, den Arzt.

Antony Nailole, 33, ist der Clinical Officer des Health Centers, das über zwölf Betten verfügt. Täglich werden rund 40 Patienten behandelt. Der Samstag, der Markttag, ist ihr schwierigster Wochentag; dann müssen Antony und seine drei Stationskollegen bis zu 200 Patienten versorgen. Als Clinical Officer untersucht er Patienten und verabreicht Medikamente. Bei der Anzahl Patienten bräuchten die Ärzte dringend Entlastung, doch Apotheker oder PTA gibt es hier nicht. „Leider haben wir niemanden, der sich um die Apotheke kümmert“, sagt Nailole. „Dabei bräuchten wir dringend jemanden, der Medikamente bestellt, sich um die Abrechnung kümmert und Ordnung im Lager hält.“ Auch pharmazeutische Beratung wäre wichtig und würde es den Mediziner erlauben mehr Patienten zu sehen, mehr Zeit für die Kinder zu haben. Zudem ist es für die Ärzte extrem frustrierend, wenn Mütter wie Nalorswesha so einen weiten Weg auf sich nehmen müssen, mit den Kindern Huckepack durch die Hitze laufen, und dann die benötigten Medikamente nicht da sind.

Nun sitzt Nalorwesha vor ihm, zum zweiten Mal in dieser Woche. „Damaribu hört nicht auf zu husten und sie hat Schmerzen“, erklärt sie. Antony hört die Kleine gründlich ab, misst Fieber und stellt fest, dass Damaribu schlecht Luft bekommt. Wahrscheinlich hat sie eine Lungenentzündung.

Vorsichtig füllt er aus einem fünf Liter Kanister rosafarbenes Painil, eine Paracetamol-Lösung, in einen kleinen Messbecher. Das wäre nicht seine Arbeit, doch es fehlt an geschultem Personal. Was würde man hier für eine PTA geben!

Nalorwesha redet ihrer Tochter gut zu, so dass sie schließlich die Medizin schluckt. Dann erklärt der Clinical Officer der Mutter, dass er ihr einen Salbutamol-Saft mitgibt, ein Medikament, das die Bronchien öffnet, damit die Kleine besser Luft bekommt. „Ein halber Teelöffel, alle acht Stunden!“ schärft er Nalorwesha ein.

Da sie keinen kleinen Teelöffel besitzt, gibt er ihr einen Messlöffel mit. Zudem soll sie ihrer Tochter alle sechs Stunden einen kleinen Messbecher des Antibiotikums Erocin mit dem Wirkstoff Erythromycin verabreichen. Antony Nailole holt Etiketten, schreibt noch mal genau auf, wann und wie viel Medizin Nalorwesha ihrer Tochter geben soll und  klebt sie sorgsam auf die Plastikfläschchen. „Es ist wirklich wichtig, dass die sechs Stunden eingehalten werden. Haben Sie eine Uhr?“ 
Nalorwesha lacht: „Nein, aber ich kann die Zeit sehr genau am Sonnenstand ablesen.“

Wäre pharmazeutisches Personal vorhanden, hätte Nailole in dieser Zeit mindestens einen weiteren Patienten sehen können. Projektkoordinatorin Stefanie Pügge stellt es bei ihren Auslandeinsätzen immer wieder fest: Wenn Apotheker dabei sind, kann der Mediziner 30 Prozent mehr an Patienten sehen. Und die richtigen Medikamente wären vorhanden. Nur: weltweit fehlen Pharmazeuten und PTA.Am frühen Nachmittag begleiten wir Nalorwesha nach Hause. Damaribu schläft, ihr Husten hat sich beruhigt.

Als wir ankommen, sehen wir die Kühe der Familie. Wie viele besitzen sie denn? „Wir Massai zählen weder unsere Kinder, noch unsere Tiere. Wir legen uns nicht mit einer Zahl fest, bleiben offen und so können es immer mehr werden“, antwortet Nalorwesha. 
Ihre Hütte aus Lehm und getrocknetem Kuhdung liegt zwischen zwei anderen Hütten. Um alle Hütten verlaufen niedrige Steinwälle, überwuchert von Hecken mit Zentimeter langen, spitzigen Dornen. „Die Dornen schützen unsere Hütten vor wilden Tieren“, erklärt Nalorwesha. Die jüngeren ihrer Kinder sind in der Schule, die älteren und ihr Mann hüten die Schafe, Ziegen und Rinder, die Lebensgrundlage der Familie.

In der Mitte der kaum sechs Quadratmeter kleinen, stockdunklen Hütte befindet sich eine Feuerstelle, darum verstreut liegen eine Metallschüssel, Töpfe und Plastikgefäße. Zwischen zwei Holzstützen, an denen eine Petroleumlampe hängt, hat sich die Familie aus Zweigen kleine Regalböden geflochten, auf denen Becher und ein Plastikkanister liegen. Darauf stellt Nalorwesha die Medizin ihrer Tochter.

Täglich müssen die Kinder mit dem Esel zur rund eine Stunde Fußmarsch entfernten Wasserstelle laufen, um die Tagesration Wasser herbeizuschaffen. "
Wir können zwar dreimal am Tag essen, mal ein wenig Fleisch, Ugali, einem festen Brei aus Hirsemehl, etwas Sukuma Wiki, ein spinatähnliches grünes Gemüse und dazu einen Becher Milch, aber es reicht nur für kleine Portionen, so dass wir nie richtig satt werden“, erklärt Nalorwesha. „Ab und zu macht mein Mann einen Gelegenheitsjob“, sagt Nalorwesha, „wenn in der Gegend eine neue Quelle gegraben oder kleine Gräben gezogen werden. Dann haben wir noch ein kleines Zusatzeinkommen.“

Die kleine Damaribu schläft noch immer. In der Hütte ist es dunkel und kühl. Die Medizin stellt Nalorwesha in das Regal. Dann legt sie ihre Kleinste auf eines der Bodenbetten und deckt sie mit einem Kuhfell zu. Sie streicht ihr zärtlich über den Kopf. Als sie vor die Hütte tritt, sieht sie in die Sonne. „In zwei Stunden muss ich sie wecken“, sagt sie. „Dann ist es Zeit für ihre Medizin.“

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